ZDF erreicht 90,75 Punkte im BITV-Test (gut zugänglich)

Das zweite deutsche Fernsehen behauptet auf seinem eigenen Webauftritt unter www.zdf.de komplexe Inhalte für alle zugänglich aufbereitet zu haben.

Der dort genannte BITV-Test, mit dem auf Barrierefreiheit getestet wurde, ist in Fachkreisen zwar umstritten, ich halte ihn dennoch für ein geeignetes Werkzeug um Webseiten in Bezug auf Ihre Zugänglichkeit vergleichbar zu machen. Er ist aber nicht dazu geeignet, Barrierefreiheit zu erreichen, indem man die Punkte einen nach dem anderen versucht irgendwie formal zu erfüllen.

So darf es nicht das Ziel eines solchen Tests sein, an einer Webseite so lange herumzudoktern, bis eine gewisse Punktzahl erreicht wird (knapp über eingeschränkt zugänglich in diesem Fall).

Barrierefreiheit nach Verordnung oder inklusives Design?

Inklusives Design berücksichtigt die Bedürfnisse von allen Menschen bereits bei der Konzeption. Um mal ein Beispiel aus dem echten Leben zu bemühen: man kann ein Haus bauen und dann irgendwo wo Platz dafür ist, nachträglich einen Fahrstuhl dran bauen – zum Beispiel an der Rückseite und der Eingang zum Fahrstuhl ist nur über die Tiefgarage stufenfrei für Rollstuhlfahrer erreichbar. – Ein Prüfpunkt „Sind alle Stockwerke für Rollstuhlfahrer erreichbar?“ wäre so erfüllt. Aber wie rücksichtslos ist das denn bitte, wenn Menschen, die eh schon langsamer unterwegs sind, auch noch längere Strecken durch die für viele furchteinflößende Tiefgarage zurücklegen müssen – ältere Menschen mit Rollator, Mütter mit Kinderwagen und andere sind vielleicht auch darauf angewiesen. Zudem wird ein wichtiger Aspekt der Barrierefreiheit so ad absurdum geführt: Barrierefreiheit ist – wenn sie sinnvoll gemacht ist – ein Vorteil für alle. Wenn man müde ist oder schwere Sachen eingekauft hat, möchte man vielleicht den Fahrstuhl nutzen, auch wenn man keine Behinderung hat.

Daher spreche ich lieber von inklusivem Design oder Design für alle statt von Barrierefreiheit oder Zugänglichkeit. Die beiden letzten Begriffe klingen so, als würde man sich riesig viel Mühe für die wenigen Menschen mit Behinderungen machen und wir alle armen Steuerzahler müssen dafür irrsinnig viel zahlen.

Aber das stimmt nicht. Inklusives Design von einem, der sich damit auskennt, kostet wenig mehr als Design, das sich um die Bedürfnisse von Nutzern nicht kümmert und nur sich selber zum Zweck hat.

Inklusives Design kommt außerdem allen zugute, wie man an dem Beispiel mit dem Fahrstuhl sieht. Inklusive Design hieße in diesem Fall, den Fahrstuhl von Anfang an berücksichtigen und dahin bauen, wo es Sinn macht (am Haupteingang und für alle ohne Umweg erreichbar).

Was bedeuten 90 Punkte im BITV-Test

Einerseits kann es bedeuten, dass eine Webseite vieles richtig gemacht hat und dass schon viel Ahnung in die Erstellung der Webseite eingeflossen ist. es kann aber auch heißen, dass folgendes passiert ist.

Bei dem Versuch einen Prüfpunkt zu erfüllen hat man den zuvor vergessenen Fahrstuhl einfach irgendwohin gebaut, nachträglich, über einen Umweg erreichbar, den nur diejenigen auf sich nehmen werden, denen nichts anderes übrig bleibt. Mit entsprechenden Folgen.

An ein fertiges Haus muss teuer ein Aufzug angebaut werden, der vermutlich Lücken in die Wärmeisolierung reißt und so neben den unnötig hohen Kosten für die Errichtung auch für vermeidbare dauerhafte Kosten sorgt. So entsteht das falsche Bild, dass Barrierefreiheit teuer sein muss.

Bei Webprojekten sehe ich häufig, dass Firmen Barrierefreiheit anbieten, ohne das Thema zu behrrschen. Insbesondere die großen der Branche nehmen offenbar jeden Auftrag an und behaupten alles zu können, was der Kunde fordert. Wenn dann im Laufe des Projektes klar wird, dass Barrierefreiheit mehr ist, als einen Knopf zum Vergrößern der Schrift anzubieten, wird das Projekt nicht pausiert, um sich das Wissen anzueignen oder einen renommierten Berater ins Boot zu holen. Falls doch, wird auf den oft Druck ausgeübt, Barrierefreiheit „nicht so streng“ auszulegen. Dasselbe wird dann später mit den Prüfern des BIK gemacht (die den BITV-Test durchführen).

Warum macht man es nicht richtig?

Weil die Kosten sonst explodieren. Man hat das Projekt eigentlich „fertig“. Das heißt: alle Inhalte sind drin und auch für viele Menschen irgendwie erreichbar. Jetzt kommt der Prüfer vom BIK, zeigt die vielen Mängel auf und eigentlich müsste man jetzt noch mal zurück ganz an den Anfang in die Konzeptionsphase und den Fahrstuhl an einem sinnvollen Ort einplanen. Dazu müsste aber der vordere Teil des Hauses abgerissen und neu aufgebaut werden – das geht natürlich nicht. Am besten müsste vielleicht das ganze Haus neu gebaut werden. Aber: An diesem Punkt ist man oft schon über dem vereinbarten Budget (weil viel zu geringe Entwicklungskosten angenommen wurden) und scheut nun die zusätzlichen Arbeiten, die vermeidbar gewesen wären, wenn man es gleich richtig gemacht hätte.

So ist vielleicht auch zu erklären, dass der Prüfschritt „Bewegte Inhalte können abgeschaltet werden“ in den Einstellungen von „Mein ZDF“ versteckt wurde und den Test trotzdem „teilweise“ bestanden hat. Solche Einstellungen sollen nämlich „in der Nähe“ des bewegten Objektes vorgenommen werden können.

Das ist so ein Mechanismus wie der Fahrstuhl auf der Gebäuderückseite. – Umständlich und die Einstellung wirkt sich dann auf alle Inhalte aus. Wenn man es wieder ändern möchte, muss man erneut in die Einstellungen – jemand der nur gelegentlich auf die Seite zdf.de kommt, hat vermutlich schon vergessen, dass er da mal was eingestellt hatte. Alles in allem also ein vollkommen unbrauchbarer Mechanismus, der hier als Barrierefreiheit verkauft wird, obwohl er nicht einmal Menschen ohne Behinderung zugute kommt – haben Sie sich schon mal mit den Einstellungsmöglichkeiten von Webseiten beschäftigt?– Wohl kaum. Webseiten sollen einfach wie erwartet funktionieren.

Solche Konstrukte entstehen, wen man eine Webseite erstellt, die nicht barrierefrei ist, dann einen Test macht, dabei gefundene Fehler behebt, einen weiteren Test macht, wieder Fehler behebt und schließlich einen dritten Test benötigt um auf einen relativ bescheidenen Punktwert zu kommen.

Das heißt nichts anderes, als dass hier an eine schlecht zugängliche Webseite rundrum irgendwelche Dinge drangeflanscht wurden, um Punkte zu erreichen, unabhängig davon, ob Nutzer der Seite verstehen können, welche Hilfen vorhanden sind, wo sie diese finden und ob die intuitiv bedienbar sind.

Hauptsache der Aufzug ist irgendwo – auch wenn er so versteckt ist, dass ihn niemand benutzt. Der Test muss die Punkte geben, weil der Prüfschritt rein formell erfüllt ist.

Möglichkeit der Abwertung nicht genutzt

Ich möchte noch auf folgenden Punkt des Prüfverfahrens hinweisen:

„9.4. Möglichkeit der Abwertung
Bei allen Prüfschritten kann das Gesamtergebnis auf „eingeschränkt zugänglich“, „schlecht zugänglich“ oder auf „nicht zugänglich“ abgewertet werden. Voraussetzung ist sowohl ein „nicht erfüllt“ für den betreffenden Prüfschritt als auch die Einschätzung, dass die Nichterfüllung des Prüfschritts schwerwiegend ist.“

Wie ist es möglich, dass fehlende Audiodeskription bei allen getesteten Filmen auf einer Seite, in der es in erster Linie um Filme geht, nicht zu einer Abwertung auf nicht zugänglich geführt hat??? – Das macht das Testergebnis unglaubwürdig! – Ich mag den Test unter anderem wegen der Möglichkeit der Abwertung. Diese muss dann aber auch angewendet werden!

Fazit

So geht es nicht, liebes ZDF. Wenn man so etwas tut, dann wenigstens heimlich still und leise in der Hoffnung, dass niemand merkt, wie lieblos und schlecht die Umsetzung ist.

Statt dessen brüstet sich das ZDF damit „Komplexe Inhalte leicht zugänglich zu machen“.

Dazu nur eines: liebes ZDF, ein paar Listen mit Sendungsbeschreibungen, die aus Titel, Bild und Teasertext bestehen, sind so ziemlich die einfachsten Inhalte, die man sich vorstellen kann.

Aber man kann ja schlecht schreiben, dass simple Inhalte mit Ach und Krach im dritten Anlauf so gerade eben über die 90-Punkte-Marke im umstrittenen BITV-Test gekommen sind – zwar nicht gut bedienbar, aber formal die Bedingungen des Tests größtenteils erfüllend…

Auch ich sehe ein: das klingt nicht gut!

PS: die technische Umsetzung zeigt ein ähnliches Bild. HTML ist nicht bestimmungsgemäß verwendet worden. Nur ein Beispiel: wenn man ein div mit einer Klasse „teaser-foot“ benutzen muss, dann meint man sicher <footer> statt <div class="teaser-foot">
Das ist kein Drama und es gibt auch gute Ansätze (die Verwendung von schema.org zum Beispiel) – aber bei einer Seite von dieser Größenordnung, Reichweite und Bedeutung, hätte man sich an vielen Stellen mehr Mühe geben und von Anfang an das entsprechende Fachwissen holen sollen.

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