Man sollte nicht den Eindruck erwecken, es sei wahnsinnig
zeitaufwändig, zugängliche Webseiten zu erstellen. Nötig ist
eigentlich vor allem ein einmaliger Lernaufwand, damit man weiß,
wie es geht. Beispielsweise semantisch korrekte Auszeichnung: die
Tags zur Auszeichnung einer Überschrift schreiben sich nicht
langsamer als die für das Element strong. Man muss nur wissen, dass
strong eben nicht für die Auszeichnung von Überschriften geeignet
ist und wie es besser geht. Dasselbe gilt für die Verwendung von
header, main, blockquote, usw statt div. Auch zusätzliche Angaben
sind in aller Regel schnell gemacht. So soll die Hervorhebung von
angetabbten Links mindestens so deutlich sein, wie die
Hervorhebungen für Mausnutzer (:hover). In der Praxis bedeutet es,
dass ich einen langen Selektor wie main #content article a:hover
markiere, kopiere und ein zweites mal einfüge, hover durch focus
ersetze und ein Komma einfüge. Ergebnis: main #content article
a:focus, main #content article a:hover Dauer etwa 5-10 Sekunden.
Das ist selbst bei aufwändig durchgestylten Webseiten, an denen man
mehrere Tage entwickelt, selten mehr als zehn Mal nötig.
Gesamtaufwand maximal also eineinhalb Minuten. Nutzt man Vorlagen
wie HTML5-Boilerplate, hat man gleich jene ganze Reihe von Klassen
inklusive, die auch die Entwicklung zugänglicherSeiten erleichtern,
wie zum Beispiel visuallyhidden, um Texte nur für
Screenreadernutzer bereit zu stellen (oder falls mal CSS nicht
funktioniert). Mit einem durchdachten Workflow, klug gewählten
Vorlagen und Werkzeugen und dem nötigen Wissen entsteht dafür kaum
ein nennenswerter Mehraufwand. So ist es mit vielen Dingen.
Berücksichtigt man gleich beim Design ausreichende Kontraste und
gibt man für das Layout nicht pixelgenaue Breiten statt fluider
Spalten vor (was in Zeiten des responsiven Designs ohnedies
schwachsinnig ist), wie viel länger dauert das dann, wenn
überhaupt? Zugegeben, der Testaufwand steigt. Aber in Zeiten
responsiver Layouts ist auch das anteilmäßig nicht mehr so der
große Brocken. Es ist deutlich aufwändiger in allen Browser- und
(mobilen) OS-Kombinationen zu testen, als einen Test auf
Zugänglichkeit zu machen (der sich größtenteils in die anderen
Tests integrieren lässt). Viele Dinge, die für zugängliche
Webseiten vorgeschrieben sind, sind ohnehin nach W3-Standard nötig,
wie valides HTML, Verzicht auch veraltete Elemente und Attribute,
alt-Texte, semantische Elemente statt div und so weiter. Aufwändig
und teuer (und relativ nutzlos) sind dagegen Zusammenfassungen in
Leichter Sprache und Deutscher Gebärdensprache. Entweder man
„übersetzt“ alle Inhalte (de facto wohl nicht zu leisten) oder man
steht auch dazu und lässt es gleich ganz. Für mich sind diese
Forderungen der BITV (die ohnehin nur für die wenigsten Sites,
nämlich Portale verlangt werden) reine Alibi-Forderungen, um sagen
zu können, dass man Gehörlose und Menschen mit kognitiven
Einschränkungen auch ernst nimmt. Von daher kann ich auch ein Stück
weit verstehen, dass die Vertreter der diversen Behindertenverbände
behaupten, die BITV berücksichtige vor allem die Interessen von
Fehlsichtigen und Blinden. Nichtsdestotrotz: viele wesentliche
Verbesserungen sind schnell gemacht. Der zusätzliche Aufwand sollte
(für die einmaligen technischen und gestalterischen Aspekte) 10%
kaum überschreiten, selbst wenn es schon richtig gut gemacht wird.
Wenn man dazu noch bedenkt, dass bei zwei bis fünf Jahren der
Laufzeit einer Website der Dauerbetrieb deutlich mehr Ressourcen
verbraucht, sieht man, wie gering der Zusatzaufwand während der
gesamten Lebensdauer solch eines Projektes ist. Was ich aber nicht
verschweigen möchte, Sind inhaltliche (nicht technische)
Gesichtspunkte. Redakteure müssen einige Angaben machen, die für
zugängliche Webseiten vorgeschrieben sind, die aber die Nutzbarkeit
für jeden Leser erhöhen verbessern. Das sind beispielsweise
saubere, tippfehlerfreie Texte, die nach den Regeln der
entsprechenden Textgattung verfasst und sprachlich an die
Zielgruppe angepasst sind: Zitate sollen als Zitate ausgezeichnet,
Abkürzungen aufgelöst, fremdsprachige Texte übersetzt sein – alles
für jeden Webseitenbesucher und -Betreiber ein Gewinn. Denn auf
solche Webseiten kommt man gerne wieder. Das gilt auch für Tante
Google, die man mit den Auflösungen von Abkürzungen oder
Übersetzungen natürlich ebenfalls füttert und die Texte so
bewertet, als wären sie gut geschrieben (wichtiges zuerst, später
die Details und am Ende ein Fazit). Google ist sicher der häufigste
wiederkehrende „blinde“ Besucher der meisten Websites. Darum hat
auch der Betreiber einer Seite etwas davon, wenn diese Kriterien
der Zugänglichkeit berücksichtigt. Ganz zu schweigen davon, dass
man potentiell mehr Besucher erreicht, wenn man Menschen mit
Behinderungen nicht durch unüberwindbare Hürden vom Besuch der
eigenen Site abhält. Und letztendlich macht es einen Auftraggeber
oder Webseitenbetreiber sympathisch, wenn er Seiten für alle
erstellt. So kann man soziale Kompetenz demonstrieren.