Ein nicht mehr frischer Speicherfund (allerdings ist mit „Speicher“ nicht der Raum unterm Dach gemeint, sondern Bits und Bytes auf elektronischen Medien, die meist ebenso nutzlos sind und die auch niemand wirklich gerne aufräumen will – so bitte ich im Voraus um Verzeihung, wenn der eine oder andere Link nicht mehr funktioniert…):
Web 2.0
Oder die Verwandlung eines Informationsmediums zum Jahrmarkt der Eitelkeiten
Eine kritische Betrachtung des liebgewonnenen globalen Dorfes
Der Hype kommt nun doch. Langsamer als gedacht und mit 10 Jahren Verspätung haben sich aus einigen der ehemaligen Startups solide Schwergewichte in den internationalen Börsen entwickelt. In deren Schlepptau entstehen neue Dienste und Anwendungen. So bietet der Verkaufsgigant Amazon verteilte Datenserver zur weltweit schnellen Auslieferung großer Datenmengen an. Für Akamai ist dies sogar das Kerngeschäft – so entstand von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet eine Firma, die über einen Datenpool verfügt, den Google sich kaum jemals zusammen sammeln kann.
Überhaupt Google und Yahoo! – lange Zeit schien es, als wüsste man gar nicht so recht, wie aus vielen der neuen Dienste Geld zu machen sei. Nach dem Platzen der New Economy Blase wurde aus unbegründetem Optimismus vielerorts unbegründeter Pessimismus.
Dabei hat es sich gezeigt, dass sich aus Suchergebnissen, die man mit unauffälliger Werbung unterfüttert, Milliarden generieren lassen – obwohl: die Bankenkrise zeigt uns ja gerade, dass sich Geld doch nicht generieren lässt, auch wenn es manchmal ganz danach aussehen mag. Jedenfalls: Der Online-Werbemarkt lebt – in Form von AdWords und Co ebenso wie in der Gestalt von Kleinanzeigen und einer modernen Form der Mund-zu-Mund-Propaganda: Bewertungen von Kunden für Kunden allerorten.
Im Web 2.0 kommt der Nutzer zu Wort. Leider ist der Nutzer nicht eine einzige Person, sondern der Nutzer ist der Mensch an sich – millionenfach, ja milliardenfach mischt er sich ein. Manchen die vom Segen des Web 2.0 reden und wie beispielsweise Vitaly Friedmann einen Qualitätssprung daran festmachen wollen, empfehle ich die Lektüre des heise-Forums. Vorzugsweise Freitag nachmittags und am Wochenende. Besonders empfehlenswert sind die Beiträge von Computerprofi, IT-Fachmann und Meisterprogrammierer.
Aber dennoch: Vitaly Friedmann ist eine bemerkenswerte Persönlichkeit und er hat das lesenswerte „Praxisbuch Web 2.0“ verfasst, das – wie sollte es auch anders sein – bei Amazon Deutschland zu kaufen ist. Und das Web braucht Menschen wie ihn, die mit Hoffnung und Optimismus an die Zukunft des Internet und seine Möglichkeiten glauben und die Perlen aus dem Internet heraussuchen, aus diesem Netz, das heutzutage mehr Müll als Schätze bereithält.
Aber das Web wächst und wächst und auch die Schätze werden mehr. Sie sind nur schwerer zu finden, weil sie in diesem riesigen Müllberg verborgen sind. Auf Youtube, Flickr und Co – wo jeder das Ergebnis seiner Selbst-Verwirklichung darstellen kann (früher musste man hierfür Töpferkurse besuchen und ausstellen oder unter dem Einfluss von bewusstseinsverändernden Drogen vor Publikum musizieren) – inzwischen kann jeder Grundschüler seinen Wulst (nach Liebermannscher Definition, das was einer will, im Gegensatz zu dem was einer kann) zur Verfügung stellen – was nicht heißt, dass die Beiträge von Gymnasialschülerinnen hochwertiger sein müssen. Wer es sich antun möchte, der mag hinter dem folgenden Link ein willkürlich ausgesuchtes, aber recht typisches Beispiel für deutsche Netzkultur nachvollziehen, wo sich R_Mayfair (IT-Fachfrau, mit unnützem Abitur auf der Suche nach einem besser bezahlten Job, in dem sie weniger arbeiten muss) über zwei Baptistinnen ihrer ehemaligen Schule auslässt. Dass man solche Beiträge zum frei verfügbaren Wissen der Menschheit auch noch kommentieren kann, macht die Sache nicht besser. Soviel zur Intelligenz der Massen,
Das hat uns das Mitmach-Internet wirklich gebracht. Dennoch nehmen auch die wertvollen Beiträge zu, sei es wissenschaftlicher Art (z. B. Im Rahmen der Open Access-Initiative) oder literarischer Art (z. B. Das Projekt Gutenberg).
Aber das ist nicht Web 2.0, sondern klassisches Web der ersten Stunde. Inhalte werden eingestellt und zum Download angeboten.
Web 2.0: das sind die Blogs und Chats und Foren und Video-Portale und Online-Games und all die anderen Jahrmarktbuden, an denen jeder unreflektiert seine durchdachten oder undurchdachten Meinungen in die weite Welt hinausschleudern darf.
Von Demokratisierung ist hier oft wohlwollend die Rede. Tja, das sind wohl größtenteils Wähler, die dort bloggen und simsen und twittern und voten und flickrn und chatten und videotuben und uns auf diese Weise an ihrer Einmaligkeit teilhaben lassen, auf dass jeder nachvollziehe: vor Gott mögen wir alle gleich sein, im Internet sind wir es deswegen noch lange nicht. Obwohl in Second Life sind wir dann doch zumindest meistens schlank und groß und ebenmäßig. Doch auch hier hört das Schwallen und Labern nicht auf, heute wird nicht nur 24 Stunden täglich empfangen, sondern ebensolang gesendet.
Das Web 2.0 ist eigentlich TV 2.0 – das Internet ist zum Mitmachfernsehn geworden, das uns die Intendanten der großen Sender seit dem ersten TED versprochen hatten. Im Web ist jeder Programmdirektor, Meinungsmacher, Werbefachmann, Computerprofi, Frauenarzt, Astronaut, Feuerwehrmann oder was er auch sonst schon immer hatte werden wollen und nun nicht mehr werden muss, weil er vorgeben kann, es bereits zu sein – wenn er will auch alles auf einmal – wer soll (und will) ihm denn das Gegenteil beweisen.
So kann man mit dem Netz der Netze Menschen fischen, wie dies Petrus tat. Nun ist man selbst der Köder: zauberisch schön und verführerisch blinkend, ganz wie man es möchte. Nur entpuppen sich viele Fische ebenfalls als aufgeblasene Köder und selbst in unseren modernen Zeiten behalten die alten Wahrheiten ihren Wert: es ist nicht alles Gold, was glänzt.